Gedenkstunde zum 75. Jahrestag am Unglücksort

Gedenktag

Überschaubar war der Teilnehmerkreis an der kleinen Gedenkstunde anlässlich des 75. Jahrestages des furchtbaren Eisenbahnunglücks im Bereich des Sarstedter Bahnhofes am 16. Juni 1945. Neben Bürgermeisterin Heike Brennecke und Stadtmanagerin Andrea Satli nahm der neue Leiter des Fachbereiches 1 der Stadtverwaltung, Christoph Neuber, erstmals an einem offiziellen Termin teil. Die Kirchen waren durch Pfarrer Harald Volkwein, Pastor Matthias Fricke-Zieseniß sowie Pastor Hans-Peter Borcholt vertreten. Und auch der Enkel des vor 75 Jahren bei der Katastrophe  verstorbenen Werner Becker nahm an der Gedenkstunde teil.

Wegen der Corona-Pandemie müsse eine größere Gedenkfeier an einem späteren Zeitpunkt stattfinden, erklärte Heike Brennecke. Im Gedenken an die Verstorbenen und um mit den Hinterbliebenen gemeinsam zu trauern, habe man sich an der Gedenktafel am Bahnhof, die im Jahr 2005 anlässlich des 60. Jahrestages angebracht worden war,  eingefunden, so die Bürgermeisterin. Bei dem furchtbaren Unglück an der Bahnstrecke seien 33 Menschen gestorben und viele Häuser zerstört worden. Und nur dank des Einsatzes von Lokführer Karl Bornemann, Heizer Hermann Schwerdtfeger und Eisenbahner August Knoke, die unter Einsatz ihres eigenen Lebens dafür gesorgt hatten, dass nicht ganz Sarstedt dem Erdboden gleichgemacht wurde, sei eine noch größere Katastrophe verhindert worden.

Werner Vahlbruch führte aus, dass sich der 16. Juni 1945 als „Gefühl der Hilflosigkeit“ in das Gedächtnis eingeprägt habe. Insgesamt habe die Katastrophe 33 Tote, die ihr Leben noch vor sich hatten, sowie zahlreiche Verletzte gefordert. Am 16. Juni 1945 explodierte beim Einfahren in den Sarstedter Bahnhof aus bis heute unbekanntem Grund der Munitionswaggon einer Tenderlok aus Hildesheim. In einem Gepäckwaggon fuhren zudem etliche Fahrgäste aus Hildesheim mit, die sich einen besseren Anschluss von Hannover aus erhofften. Die 33 Todesopfer waren so schrecklich verstümmelt, dass vier von ihnen nicht mehr identifiziert werden konnten.

Dass Sarstedt nicht vollständig vernichtet wurde, ist Bornemann, Schwerdtfeger und Knoke zu verdanken. Seit einigen Tagen standen damals 99 mit Luftminen beladene Waggons zwischen dem Bahnübergang Giebelstieg und den Voss-Werken. Die Besatzungsmacht hatte die vorgefundenen Munitionsbestände auf Waggons verladen und diese bis zur endgültigen Vernichtung unter anderem in dem Bereich abgestellt. Bornemann und Schwertfeger befanden sich zu dem Zeitpunkt mit ihrer eigenen Lok in Warteposition, um den außerplanmäßigen Zug aus Hildesheim durchzulassen. Sie führten nun ihren eigenen Zug über eine Weiche auf das Kaligleis direkt vor den Munitionszug. Unter größter Lebensgefahr rannte August Knoke an den Munitionswaggons entlang, die bereits ebenfalls Feuer gefangen hatten, um die letzten 16 Waggons abzukuppeln. Diese Wagen mit hochexplosiven Seeminen und Torpedos waren noch unbeschädigt. Und tatsächlich gelang es den drei Männern, den Zug aus dem Gefahrenbereich herauszufahren bis zu einem Gleis bei der Rethener Zuckerrüben-Fabrik.

Hermann Schwerdtfeger wurde 1989 das Ehrenbürgerrecht der Stadt Sarstedt verliehen, der Bahnhofs-Vorplatz wurde 1990 nach August Knoke benannt. Lediglich der bereits im Jahr 1963 verstorbene Karl Bornemann hat keine Würdigung mehr erfahren. Das sollte dann zumindest noch nachgeholt werden, forderte Pfarrer Volkwein. Vielleicht könne man ja einen Bahnsteig nach ihm benennen.

Werner Vahlbruch verlas die Namen der Verstorbenen und für jeden von ihnen – auch für die nicht identifizierten Opfer – legten Heike Brennecke und Andrea Satli eine Rose vor der Gedenktafel nieder. Pünktlich um 9.20 Uhr – zum Zeitpunkt der Katastrophe vor 75 Jahren – läuteten die Sarstedter und Giftener Kirchenglocken.

In einem Gebet plädierte Pastor Fricke-Zieseniß anschließend für „Kraft, Liebe und Besonnenheit“.

Fotos und Bericht: Jürgen Matz