Zapfhahn oder weiteren Sargnagel für die Sarstedter Innenstadt eingeschlagen?

Ein Kommentar zum 1. Sarstedter Biergarten von KLEEBLATT Verleger Martin Helmers:

Gut gedacht ist manchmal leider nicht gut gemacht. Das deutet sich bei genauerer Überlegung beim Biergarten auf dem Sarstedter Festplatz an. Die prinzipiell gute Idee, Corona-geschädigten Unternehmen unter die Arme zu greifen, ist hoch anzurechnen. Erst recht, wenn man damit meint, den Fortbestand des Sarstedter Schützenfestes zu sichern und langjährigen Geschäftspartnern zu helfen. Außerdem wird den Bürgern Abwechslung und Unterhaltung auf hohem Niveau von Profis geboten.

Die Alte Schützengilde und Mitglied Markus Brinkmann, der Landtagsabgeordneter sowie Ratsmitglied (SPD) ist, haben es in nur 24 Stunden geschafft, einen Biergarten für 200 Personen auf dem Festplatz der Stadt im Rathaus genehmigt zu bekommen. Und das in einer Zeit, wo traditionelle Veranstaltungen wie der „Abend der Genüsse“, „Bayerischer Frühschoppen“ oder sogar der „Kartoffelmarkt der GHG“ durch die Veranstalter abgesagt wurden. Das hat viele Bürger in Erstaunen versetzt, zumal bis jetzt auch der Brunnen vor dem Rathaus wegen Corona-Gefahr nicht angeschaltet ist.

Nun pilgern die Event-hungrigen Sarstedter zum Biergarten am Stadtrand. Treffen mit Freunden, Konzerte und Unterhaltung auf der Bühne bei Bier und Bratwurst stehen auf dem Programm. Alles mit Hygienekonzept und Sicherheitsabstand. Und zwar bis Anfang September. Solange, bis die Open Air-Saison zu Ende ist. 

Das hört sich im ersten Augenblick alles sehr gut an und ist auch sicher von allen Beteiligten gut gemeint. Die Sarstedter finden es klasse. Alle Sarstedter? Nicht ganz. Eine kleine Gruppe von sogenannten „Gastronomen“ haben seither mit steigendem Blutdruck zu kämpfen. 

Außengastronomie seit Mai wieder geöffnet

Es gibt sie tatsächlich noch in Sarstedt und sie kämpfen ums Überleben zu Corona-Zeiten. Seit Mai dürfen unter Auflagen endlich wieder die Außenflächen bewirtschaftet werden. Es gibt doch den einen oder anderen sonnigen Tag, an dem Gäste im Freien sitzen wollen. Die Innenstadt bietet vielfältige Angebote und jeder heimische Gastronom gibt sich größte Mühe, die Gäste zufrieden zu stellen. Am Hahnenstein Sportbar 3203, Marinello und Bei Sandro, vor dem Rathaus Kaffee Klatsch, KLEEBLATT Café und Dionysos, das Stadtbad Restaurant und La Espaniola laden auf ihre Außenflächen ein, ebenso in der Holztorstraße die Alte Rösterei und Al Dente. Es braucht eigentlich niemand zu verdursten, und es gibt viele Möglichkeiten, sich in der Innenstadt zu treffen und zu ernähren.

Wo treffen sich jetzt die Lokal-Patrioten?

Nicht nur bei facebook mehren sich Stimmen, die fragen, warum die Stadt für eine groß angelegte Werbekampagne Geld ausgibt, die die Bürger zum Einkaufen in der Innenstadt bewegen will. Lokalpatrioten kaufen schließlich bei Sarstedtern. Weil die sich Mühe geben, freundlich sind und letztlich auch irgendwann mal wieder Gewerbesteuer bezahlen sollen. Zumindest, wenn sie Corona überleben. Es war schon vor Corona schwer genug, die Leute in die Stadt zu bewegen. Jetzt fallen auch noch die wichtigen geplanten Stadtfeste und Veranstaltungen aus. 

Sarstedter Gastronomen sind am kochen

Unter dem Aspekt kann man vielleicht verstehen, dass die Gastronomen fassungslos sind, dass nun ihre Gäste aus der Innenstadt rausgezogen werden und ein Unternehmen aus Hoheneggelsen, dem bei Not über den Corona-Rettungsschirm eigentlich mit einer monatlich fünfstelligen Summe geholfen werden würde, auf dem Sarstedter Festplatz gastiert. Im September wird der temporäre Schützen-Biergarten abgebaut und die Sommersaison hat sich dann auch für die Sarstedter Gastronomen erledigt. Ein guter Teil der Sommer-Einnahmen wird dann fehlen, und wer weiß jetzt, wie es im Herbst in geschlossenen Räumen aussieht. Bei 50 Prozent maximaler Platzbelegung kommt bei keinem Gastronom finanzielle Begeisterung auf.  

Auch das Umland kommt, aber leider nicht in die Stadt

Gäste aus Ahrbergen werden nun weniger in die Innenstadt kommen, weil sie vorher schon „abgefangen“ werden und die Sarstedter machen ihren Spaziergang nicht mehr durch die Fußgängerzone und sehen sich die Schaufenster an, sondern steuern direkt Richtung Festplatz. Dort kann man auch besser parken und muss keine Angst vor den Politessen haben, wenn der Aufenthalt mal etwas länger dauert.



Warum nicht auf dem Hallenbad-Parkplatz?

Es ist eigentlich eine tolle Idee gewesen, einen Biergarten auf dem Schützenplatz zu installieren. Das hätte kein Gastronom aus Sarstedt stemmen können. Schon gar nicht ohne die ehrenamtliche und intensive Unterstützung von Politik und Schützenverein/en. Alle versuchen gerade verzweifelt ihren eigenen Laden am Laufen zu halten. Es wird sich auch keiner offiziell zu dem Thema äußern, weil man es sich natürlich nicht mit den potenziellen Gästen aus Politik und Vereinsleben verscherzen will. Daher lehne ich mich hier stellvertretend aus dem Fenster, damit alle Beteiligten mal überlegen, was man hätte anders oder in Zukunft besser machen können. Zum Beispiel so einen Magneten, den die Stadt ohne Zweifel immer gebrauchen kann, auf dem Hallenbad-Parkplatz zu installieren. Auch wenn den ein auswärtiger Gastwirt bewirtschaften würde, hätte man wenigsten den Effekt, dass die Besucher in die Innenstadt kommen müssten. Vielleicht wird dann doch noch das eine oder andere Geschäft oder zumindest Schaufenster wahrgenommen. 

Erst der Anfang?

Der Titel „1. Sarstedter Sommerbiergarten“ lässt befürchten, dass 2021 eine Fortsetzung geplant ist und es nicht bei den vier Tagen Schützenfest bleibt. Konkurrenz belebt das Geschäft, heißt es. Hat bei den Tante-Emma-Läden irgendwie nicht funktioniert, und alle haben geklatscht, als sich in und um Sarstedt Aldi, Schlecker, Rossmann und zahlreiche Supermärkte angesiedelt haben. Das hat sicher viel Gutes für die Bürger, aber die „Emmas“ haben die Läden zugemacht, weil sie den Kampf verloren haben. Jetzt sollte aber auch niemand schreien, dass die Innenstadt unattraktiv geworden ist. Das war so absehbar und wahrscheinlich auch unvermeidlich. Ist eben Fortschritt. Dass die Sarstedter Gastronomen sechs Wochen lang einen „Bier-Supermarkt“ vor den Toren nicht zu spüren bekommen, glaubt bestimmt auch niemand. Es wird spannend zu sehen, wie sich das kulinarische Angebot in der Innenstadt weiterentwickeln wird. Wenn auch noch die Gastronomie aus der Innenstadt verschwindet, ist es wirklich Zeit, die Fußgängerzone wieder für den Autoverkehr freizugeben. Zumindest bis auf Freitag, weil da ja Wochenmarkt ist…

Nochmal deutliche Worte zum Schluss

Ich habe vollen Respekt vor allen, die so ein Projekt ins Leben gerufen haben. Nicht rumjammern, sondern machen – das ist auch meine Devise. Aber man muss sich die Konsequenzen in alle Richtungen überlegen und auch lernfähig sein. Dieses Jahr ist gelaufen, aber für 2021 würde ich mir wünschen, dass man alle Betroffenen auch zu Beteiligten machen würde. Ich stehe gern für Gespräche bereit, sei es von Gästen, Gastronomen, Vereinen oder Politik. Wir sind mit dem Eiscafé sicher kaum betroffen, aber als Gewerbetreibender in der Innenstadt und als Heimatzeitung macht man sich natürlich schon Gedanken, wie man verhindern kann, dass in der Stadt die Lichter ausgehen.

 

Martin Helmers 

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