KB27012021 Kirchen Neujahrsempfang Ersatz Kirchenleben in Corona-Zeiten

Sarstedt (stb). Auch wenn Gottesdienste zurzeit möglich sind, anders als im Frühjahr 2020, so findet auch viel dessen, was Gemeindeleben ausmacht, nicht statt.

Dazu gehört neben den vielen Gruppen, die derzeit Corona-bedingt pausieren, auch der traditionell ökumenische Neujahrsempfang mit seinen Ansprachen und dem mitmenschlichen Austausch im Januar. „Ein sehr schöner Moment der Begegnung“, wie es Pfarrer Harald Volkwein beschreibt. Nun stellte sich die Frage nach einer Alternative, um „die Menschen zu bestärken und zu ermutigen.“

Die ökumenische Pastorenkonferenz hat sich deshalb zu einem Pressegespräch entschlossen, um den Blick auf das vergangene und das kommende Jahr zu werfen und auch zu betrachten, was man vermisst und was möglich ist.

Im Gespräch waren kurz vor den Weihnachtsfeiertagen 2020 von der ev. St. Nicolai Gemeinde Sarstedt Pastor Matthias Fricke und Pastorin Christiane Schiwek sowie Vikar Johannes Hagenah (die auch Pastorin bzw. Vikar in St. Nikolai Heisede sind), Pfarrer Harald Volkwein und Gemeindereferentin Ute Köhler von der kath. Heilig Geist Gemeinde und St. Vitus Giesen, Kirchenvorsteherin Ilsemarie Drobe aus Martin-Luther Giften sowie Gemeindevorsteher Harald Jerschke und Gerhard Scharf aus der Neuapostolischen Gemeinde Sarstedt.

Weihnachten anders

Nun ist Weihnachten vorbei und es hat sich gezeigt: Weihnachten hat trotz allem stattgefunden. Christiane Schiwek vermutet: „Vielleicht war es sogar möglich, diesmal noch stärker an die Wurzel von Weihnachten zu gehen als sonst.“ „Man konnte sich guten Gewissens auf Weihnachten freuen“, und es zumindest, wenn auch nicht in großem Kreis, so doch „im Herzen feiern“, ergänzt Gerhard Scharf.

Neue Formen

Für alle Gemeinden gilt, dass alternative Kontaktmöglichkeiten zugenommen haben. Per Telefon, Messengerdienste, E-Mail oder Video. Dennoch sei es keine Option gewesen, die Kirchen ganz zu schließen. Stattdessen wurden Alternativen entwickelt. Bei Heilig Geist seien dazu, wie Ute Köhler erläutert, zuerst für Heilig Abend kleine Open-Air-Andachten konzipiert worden (die dann schlussendlich jedoch in letzter Minute wieder in die Kirche verlegt wurden, um die Kontrolle über die Einhaltung der Hygienevorgaben zu behalten).

Matthias Fricke: „Es ist ganz typisch für die letzte Zeit, nicht zu wissen, was morgen möglich ist. Vielleicht muss die Menschheit mal ein bisschen runterfahren und gucken, was wirklich wichtig ist.“

Christiane Schiwek ist besorgt: „Es wird einiges verloren gehen. In die Gottesdienste kommen die, die das noch können und die, denen das ganz besonders wichtig ist.“ Es sei aber zu beobachten, dass viele Familien nun ihre Kinder in der Vorkonfirmandenzeit in die Gottesdienste begleiteten. „Da ist jetzt Zeit für sowas, die früher nicht da war.“ Anders sähe es mit denen aus, die nur einmal im Jahr an Heilig Abend in die Kirche gehen. Da könne der Kontakt verlorengehen.

Über alternative Wege haben wir früher nie nachgedacht.“

Gerhard Scharf

Neuapostolische Gemeindeleitung

Gerhard Scharf ist froh, dass seine Gemeinde schon seit 1991 Erfahrungen mit Video-Gottesdiensten hat. „Wir erreichen alle, die teilnehmen wollen. Egal, wo sie sind. Nur das Heilige Abendmahl geht nicht…“ Die Kindergottesdienste liefen nun „über Video-Konferenz, ein Teil online plus so viele wie erlaubt in Präsenz. Dazu haben wir den Gottesdienst begleitende Päckchen zugeschickt. Über solche alternativen Wege haben wir früher nie nachgedacht…“ Die Erfahrung, dass man vertraute Abläufe neu denken müsse, dann aber gute Lösungen finde, sei befriedigend, so Matthias Fricke, „aber auch anstrengend.“

Mehr als nur Gottesdienst

Matthias Fricke verweist darauf, dass „das gottesdienstliche Leben nur ein Teil des Ganzen ist, bei dem ich mir für die Zukunft weniger Sorgen mache. An unseren Angeboten und Gruppen nehmen viel mehr Leute teil.“ Doch gerade dieser Bereich sei noch stärker als alles andere zum Erliegen gekommen. „Hier sind die 60- bis 85-Jährigen die großen ehrenamtlichen Akteure.“ Ob es da „bei einer Hemmung“ bleibt, sei abzuwarten. Christiane Schiwek beobachtet jedoch „echtes Netzwerken“, weil die Gruppenleitungen mit ihren Mitgliedern telefonieren.“

Das Problem sieht Harald Volkwein darin, dass es „den persönlichen Kontakt mit den Gemeindegliedern nur noch gibt, wenn er aktiv herbeigeführt wird, durch Telefonate zum Beispiel.“

Manches fehlt

Auch Kirchenleute sind Menschen. Ilsemarie Drobe fehlt „die Freude, jemanden in den Arm zu nehmen“, dem siebenfachen Großvater Gerhard Scharf tut es weh, „die Kinder nur auf Abstand zu haben und Geburtstag per Videokonferenz zu feiern.“ „Es gibt Dinge, für die es keine zweite Chance gibt“ erinnert Harald Volkwein an die Beerdigung, wo die Schwester des Verstorbenen „per Handy zugeschaltet wird. Das ist bitter.“

Und ein Gespräch mit Maske und damit ohne Mimik, „das ist komisch“, so Gerhard Scharf. „Ich sehe keine Reaktionen. Das ist schwer.“ Genauso „wie Trösten, ohne in den Arm zu nehmen“, erlebt Ute Köhler immer wieder.

Allen fehlt das Singen. Mancher stellt sich dann dazu alleine in die Kirche (Für Otto-Normalverbraucher sind auch der Wald oder die Dusche empfehlenswert.) Matthias Fricke hat die Angehörigen im Blick „um die wir uns nicht so kümmern können, wie wir müssten.“ Herzliches Händeschütteln, ein unmaskiertes Lächeln: Das fehlt.

Gottvertrauen

Dennoch hätten sie es vielleicht etwas leichter, die Krise durchzustehen, vermutet Harald Jerschke: „Bei allen Befindlichkeiten: Wo Gottvertrauen ist, da hilft das auch, die Krise zu bewältigen.“ „Zu wissen, Gott ist bei mir, das hilft, ich bin nicht allein“, ergänzt Gerhard Scharf. Ilsemarie Drobe findet „ein grundsätzlich positives Denken“ hilfreich und Harald Volkwein weiß: „Grundvertrauen ist immer gut fürs Leben.“

Wie der Kritik begegnen

Alle haben, als Seelsorger oder Privatmensch, schon Debatten über Corona-Maßnahmen, Sinn und Unsinn erlebt, wenn auch, so Matthias Fricke, „weitgehend Konsens, die Regeln einzuhalten.“

„An Fakten nicht zu glauben, ist bedenklich!“

Harald Volkwein

Pfarrer in Heilig Geist

Oft sei im Gespräch „der internationale Blick hilfreich“. Der Vergleich, was in Deutschland gehe und woanders nicht, wie katastrophal die Lage in anderen Ländern sei, das relativiere die eigenen Beschränkungen.

Doch verstehen könne man die Protestler und Corona-Leugner nicht. Harald Jerschke: „Ich kann versuchen, ihnen mit christlicher Nächstenliebe zu begegnen, aber nachvollziehbar ist das nicht.“ Vikar Johannes Hagenah verweist dabei auf die in Deutschland weit verbreitete Kultur der Selbstoptimierung und persönlichen Selbstverwirklichung. „Diese Menschen spüren jetzt Grenzen. Dazu kommen die, die das System ablehnen und die, die wirtschaftlich leiden.“ Er könne verstehen, dass man gegen manches protestiere, „nicht jedoch, dass man es mit jedem tut.“ Matthias Fricke: „Die rote Linie ist, mit Rechtsradikalen auf einer Straße zu gehen und demokratische Strukturen in Frage zu stellen! Das ist gruselig!“ Ute Köhler machen vor allem „die Leute Sorgen, die sagen „ich glaube das nicht“, wenn es um wissenschaftliche Erkenntnisse oder klare Zahlen geht.“ „An Fakten nicht zu glauben, ist bedenklich!“, unterstreicht Harald Volkwein.

Die Frage des „Warum“

Sie würde im Gespräch, so Christiane Schiwek, durchaus zu Corona gefragt. Wieso verbreitet sich das so schnell? Die philosophische Frage, woher das Virus kommt, werde hingegen nicht gestellt. Harald Volkwein: „Das Virus hat weder eine philosophische noch eine moralische Bedeutung an sich. Es wird uns nicht moralisch besser machen. Es ist keine Strafe. Bestenfalls werden wir daraus etwas lernen.“ „Es ist wie es ist“, sagt Matthias Fricke. Harald Jerschke: „Gott hat den Menschen diese Erde überlassen. Und er lässt zu, was kommt.“ Der Mensch müsse Verantwortung für die Erde tragen.

Die Frage, was geht

Wie sollen und können die Kirchen nun in den nächsten Wochen und Monaten arbeiten? Da sind die Gemeinden kreativ. Viele neue Formate werden entwickelt. In der Kinder- und Jugendarbeit, auch mit Konfirmanden, ist nach bisheriger Rechtslage das meiste, wenn auch eingeschränkt, möglich. „Ich versuche, Jüngeren damit Stabilität in ihr Leben zu bringen“, erzählt Christiane Schiwek. Die Erfahrung habe jedoch gelehrt, „keine langfristigen Versprechungen zu machen“. Gerade sind die im Februar üblicherweise stattfindenden Konfirmandenfahrten abgesagt worden. Dennoch müssten im ersten Schritt alle Planungen laufen, „absagen kann man immer noch“. Dem stimmt Gerhard Scharf zu: „Alles durchplanen, aber unter Vorbehalt“. Ute Köhler: „Und immer unter Corona-Bedingungen.“

BU:

Matthias Fricke, Johannes Hagenah und Christiane Schiwek von St. Nicolai, Ilsemarie Drobe aus Martin Luther, Harald Volkwein und Ute Köhler von Heilig Geist sowie Gerhard Scharf und Harald Jerschke von der Neuapostolischen Gemeinde.