Wenn Schatten bunte Geschichten erzählen

Mit dem „Orchester im Treppenhaus“ ergatterte die Regenbogenschule einen echten Hochkaräter. Doch der eigentlich Star des Tages blieb der von den Kindern eigens produzierte Silhouettenfilm.

Vor einer Kamera zu stehen, in eine Rolle zu schlüpfen, Einstudiertes vor Zuschauenden vorzuführen, all’ das ist für Ungeübte bereits aufregend und herausfordernd genug. Doch was passiert, wenn man Handlung und Emotionen ganz ohne Ausgesprochenes vermitteln soll? Wenn Mimik und nuancierte Gestik im Schatten verschwinden und nur die Silhouette des eigenen Körpers als Medium dient?

Etwas mehr als ein Dutzend Kinder der Grundschule Kastanienhof und der Regenbogenschule Sarstedt stellten sich dieser Herausforderung ganz freiwillig. Während der Sommerferienbetreuung studierten sie gemeinsam mit den pädagogischen Mitarbeitenden der Regenbogenschule, Andreas Baumgarten und Aisan Yeydrik, sowie Regina Müller, Ganztagskoordinatorin an der Kastanienhofschule, ein Schattentheater zum Kindermärchenklassiker „Frau Holle“ ein. Unterstützt wurden sie dabei von den Theaterpädagoginnen des Hannoveraner „Orchester im Treppenhaus“, Katja Jacobs und Finja Schlake, die die Kinder anleiteten und inspirierten.

An vier Tagen wurden auf diese Weise gemeinsam Kostüme kreiert, Hintergründe bemalt, Spezialeffekte erdacht, Drehbücher geschrieben und schlussendlich alles vor laufender Kamera abgefilmt. Ganz schön aufregend, das stellten auch die Viertklässlerinnen Lara und Frida sowie Drittklässlerin Evelyn während des Projektes fest. Als „Frau Holle“, „Pechmarie“ und „Mutter“ übernahmen die drei Regenbogenschülerinnen jeweils Hauptrollen vor der Kamera. Doch zu einem Film gehört so viel mehr als nur die Personen, die vor der Kamera agieren. Auch in der Regie, im Bühnenbild oder in der Technik war voller Einsatz gefragt und viele Fragen gab es bereits zu klären, ehe überhaupt die erste Szene abgedreht wurde. Wie stellt man einen Sturz in den Brunnen dar, ohne auf digitale Spezialeffekte zurückgreifen zu können? Wie einen Schauer aus glänzendem Gold, wenn man doch vorrangig mit Schatten arbeitet? Etliche künstlerische Fragestellungen und vier Tage intensiver Arbeit brauchte es, bis das finale Werk schlussendlich im Kasten war.

Mit Pauken und Holzflöten

Seine Uraufführung feierte der fertige Schattentheaterfilm am 6. August, zu Beginn des neuen Schuljahres, in der Sarstedter Regenbogenschule – und das mit ganz großem Hallo. Gemeinsam mit zwei weiteren Silhouettenfilmen wurde dieser nicht nur erstmalig einem Publikum vorgestellt. Als Epilog zu den diesjährigen 33. Fredener Musiktagen wurden die Filmvorführungen jeweils mit einer musikalischen Einlage des „Orchester im Treppenhaus“ begleitet. Das Ziel des „Orchester im Treppenhaus“ – das so heißt, weil es seine ersten großen Auftritte im Treppenhaus der Cumberlandschen Galerie in Hannover absolvierte – ist es, aufzuzeigen, „dass klassische Musik nicht verstaubt ist, sondern spannend und aktuell sein kann“, erläutert Katja Jacobs. „Damit wollen wir vor allem die junge Generation für diese Musik begeistern und ihnen zeigen, wie viel Spaß das machen kann.“ Entsprechend locker aufgelegt betraten Dirigent Thomas Posth und acht Musikerinnen und Musiker mit ihren Instrumenten – von Blas- über Streichinstrumente, Klavier und Percussions – die Bühne und wurden von den neugierigen Kindern und ihren Lehrkräften herzlich in Empfang genommen.

Verschwanden für das Schattentheaterstück „Frau Holle“ hinterm Vorhang: Frida, Lara und Evelyn (v.l.) von der Regenbogenschule Sarstedt lernten in der Sommerferienbetreuung, was es bedeutet, nur mithilfe der eigenen Silhouette eine Geschichte zu erzählen.

Passend zum Thema „Zwanzigerjahre“ der Fredener Musiktage wurden den anwesenden dritten und vierten Grundschulklassen mit „Aschenputtel“ und „Jack und die Bohnenstange“ auch zwei Werke der deutschen Künstlerin Lotte Reiniger vorgeführt. Reiniger, deren bei den Musiktagen präsentierter Silhouettenfilm „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ von 1926 als „erster noch erhaltener abendfüllender Trickfilm“ gilt, gehörte zu den einflussreichsten Größen der Scherenschnittkunst. Eine Kunstform, deren Aufwand im heutigen digitalen Zeitalter nur noch schwer nachzuvollziehen ist. Ganze 20.000 Stunden investierte Reiniger allein in die Produktion ihres Werkes „Aschenputtel“, alle Figuren akribisch aus Papier ausgeschnitten, positioniert und in Stop-Motion-Technik fotografiert. „Das ist total begeisternd, wie sie das hinbekommen hat,“ verspricht Thomas Posth vor der ersten Filmvorführung des Tages.

 

Als das bekannte „Aschenputtel“ anschließend in monochromem Aufzug über den Fernsehbildschirm tanzt, bietet sich den Kindern in der Regenbogenschule ein ungewohnter Anblick. Schnell senkt sich Stille über der Schulaula, denn derart reduziert und so ganz ohne Dialog müssen sich die Kinder zunächst ganz schön konzentrieren, um der dargestellten Handlung zu folgen. Einzig die Filmmusik von Jan Wilke durchbricht die Stille, in einer Live-Vorführung des „Orchester im Treppenhaus“, das die Kinder mit auf die Reise der jungen Frau mit dem gläsernen Schuh nimmt. Nach etlichen musikalischen und dramaturgischen Spannungsbögen kulminiert die Musik in einem Crescendo. Aschenputtels Stiefschwester streckt ihren Fuß, sie zückt das Messer, es folgt ein Hieb, der Zehen vom Fuße trennt, und das Publikum keucht erschrocken auf. Spätestens hier zeigt sich: es muss nicht immer das ganz große Kino mit Spezialeffekten sein, um Kinder zu unterhalten.

Auch das deutlich buntere, wenngleich weniger bekannte Stück „Jack und die Bohnenstange“, in dem Reiniger ihre Scherenschnittfiguren über farbige und deutlich opulentere Hintergründe bewegte, schafft es, die Aufmerksamkeit der anwesenden Mädchen und Jungen zu fesseln.

Zur Sommerferienproduktion von „Frau Holle“ stellen die Musikschaffenden des „Orchester im Treppenhaus“ anschließend ihre Improvisationskunst unter Beweis. Während die Silhouetten der Grundschulkinder über den Bildschirm huschen und handgemachte Effekte die Handlung unterstreichen, verhelfen die zarten Klänge der Geige, die fröhlichen Laute der Flöte und die starken Töne der Percussions dem Gezeigten zu noch mehr Dramatik. Als schlussendlich der Abspann des Kurzfilmes über den Bildschirm flimmert, ist der Applaus entsprechend groß und die mitwirkenden Kinder lassen sich zurecht von ihren Altersgenossinnen und -genossen feiern.

Mitmachen und mitjubeln

Das war ganz toll – super!“ fasst es Utz Köster mit wenigen, euphorischen Worten zusammen. Der Intendant der Fredener Musiktage ließ es sich nicht nehmen, der musikalischen Uraufführung ebenfalls beizuwohnen, und zeigt sich von der Arbeit der Kinder wie auch vom Engagement der Grundschulen begeistert. Für das Sommerferienprojekt habe er sich mit Regenbogenschulleiterin Marion Heuer zusammengetan, erklärt Köster, und schwärmt: „Eine schönere Kooperation kann man sich nicht vorstellen“. Heuer wiederum outet sich als langjähriger Fan der Fredener Musiktage und so erschien eine Zusammenarbeit als natürlicher nächster Schritt. In ihrer Schulgemeinschaft lege sie grundsätzlich Wert auf eine „Kultur des Zuhörens und Mitmachens“, so die Schulleiterin. Ihr sei es wichtig, den Kindern die Möglichkeit zu geben, sich auszuprobieren, und dadurch wichtige Erfahrungen sammeln zu können: „Ich mach mir Mühe, ich habe etwas geschafft!“ Das Erlernte werde regelmäßig einem Publikum vorgetragen, dessen bestärkender Applaus – na klar – die größte Belohnung ist.