Im Gespräch mit Klimaschutzaktivistin

Jürgen Matz im Gespräch mit Sophie Backsen

Sophie Backsen, 23jährige Studentin der Agrarwissenschaften, von der Insel Pellworm hat zusammen mit acht jungen Menschen, darunter ihren Brüdern, und mit Unterstützung von Greenpeace am 29. April ein Bundesverfassungsgerichts-Urteil erreicht, das das bisherige Klimaschutz-Gesetz von 2019 als „teilweise verfassungswidrig“, also unzureichend, eingeordnet hatte. Der Deutsche Bundestag hatte daraufhin umgehend das bisherige Gesetz revidiert.

Kleeblatt-Mitarbeiter Jürgen Matz hatte die Möglichkeit, die junge Frau auf der Insel Pellworm zu interviewen.

Vor zwei Jahren habe das Verwaltungsgericht Berlin bereits eine Klage im Hinblick auf zu wenig Aktivitäten zum Klimaschutz abgelehnt, aber immerhin eine Revision zugelassen, so Sophie Backsen im Gespräch mit dem „Sarstedter Kleeblatt“. Und der Bundestag habe bereits damals ein Klima-Schutz-Gesetz verabschiedet, gegen das sie und ihre Mitstreiter nun eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht hatten. Denn Maßnahmen seien bis zu dem Zeitpunkt lediglich bis 2030 festgelegt worden, danach habe man keine weiteren konkreten Maßnahmen berücksichtigt. „Die Vorschriften verschieben hohe Emissions-Minderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030“, so die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichtes. Deshalb müsse der Gesetzgeber rechtzeitig planen, wie es nach 2031 weitergehen solle. Deutschland müsse genauer festlegen, wie es nach 2030 seine klimaschädlichen Emissionen senken wolle, damit der jungen Generation keine unverhältnismäßigen Nachteile entstehen. Deshalb müsse Deutschland schon fünf Jahre eher als geplant „Klima-neutral“ werden, also nur noch so viele Treibhausgase ausstoßen, wie auch wieder aus der Atmosphäre gebunden werden können. Klima-Neutralität bedeutet, ein Gleichgewicht zwischen Kohlenstoffemissionen und der Aufnahme von Kohlenstoff aus der Atmosphäre in Kohlenstoff-Senken herzustellen. Um Netto-Null-Emissionen zu erreichen, müssen alle Treibhausgas-Emissionen weltweit durch neutralisierende Kohlenstoffbindung ausgeglichen werden.

Das Ziel seien 65 % weniger Treibhausgase bis 2030 im Vergleich zu 1990, 88 % weniger bis 2040.

Klima-Neutralität sei „im alten Gesetz“ bis 2050 gefordert – nun habe der Bundestag eine solche bis 2045 gefordert, aber konkrete Maßnahmen seien nur unzureichend angedacht worden, formuliert Sophie Backsen kritische Worte. Zwar sei als Ziel eine Erderwärmung von höchstens 1,5 % genannt, aber es sei sehr fraglich, ob überhaupt eine solche von unter 2 % mit den angedachten Maßnahmen erreicht werden könne. Denn dieses Ziel sei nur mit immer dringenderen und kurzfristigeren Maßnahmen erreichbar. Im Gesetz würden ausreichende Vorgaben, wie genau die Treibhausgas-Emissionen ab dem Jahr 2031 gemindert werden sollen, fehlen, so das oberste deutsche Gericht. Bis Ende 2022 muss bei den Reduktionszielen deshalb nun nachgebessert werden. Denn ganz offenbar bleibt offen, wie das Ziel, die Treibhaus-Gas-Emissionen bis 2030 um mindestens 65 %, bis 2040 gar um 88 % zu senken, erreicht werden kann.  

Sophie Backsen: „Wir sind wir auf jeden Fall sehr zufrieden mit dem Urteil des BVerfG, aber nicht mit der Nachbesserung des Klimaschutzgesetzes der Bundesregierung  und fordern schnellere Nachbesserungen.“ Bundesumweltministerin Svenja Schulze scheint ein offenes Ohr für die Belange der jungen Leute zu haben: „Es geht um nichts weniger als um eine Verdoppelung des Tempos beim Klimaschutz“. Deutschland will „den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad Celsius , möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau  begrenzen.“

Bislang gibt es keine vom Menschen geschaffenen, zuverlässigen, künstlichen Technologien, um  die entstandenen Schadstoffe zu neutralisieren.

Nur aus der Natur heraus – Wälder, Böden, Weltmeere – „bestehenden Flächen“ können die vom Menschen erzeugten, die Atmosphäre negativ beeinflussenden Stoffe neutralisiert werden. Oder natürlich ebenso durch die Reduktion der negativen Stoffe selbst, die z. B. durch Verbrennung entstehen (CO2). So gibt es nur zwei grundsätzliche Möglichkeiten, die Klimaneutralität durch Gleichgewicht zu erreichen: durch von Menschenhand geschaffene Mehrung von Schadstoff-bindenden Flächen (Wald, …) und Reduktion von Schadstoff-erzeugender Technologie (z. B. Verbrennungsmotor). Mit den bestehenden Maßnahmen jedenfalls können bis 2035 nur circa 90 % der Vorgaben der Klimaneutralität erreicht werden.

„Ein wegweisendes Urteil“ sei der Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes gewesen, so Sophie Backsen, aber „noch nicht das Non plus Ultra“. Die jetzige Generation dürfe nicht auf Kosten der jungen Menschen leben. Sie fordere „ein Recht auf Zukunft“ auch und gerade für die junge Generation. Auf ihrer Heimatinsel würden viele Menschen, keineswegs nur junge, konkrete Projekte „auf der Straße“ durchführen, dort trete man eher weniger als feste Gruppe auf.

Sophie Backsen erwägt, einmal den Bio-Bauernhof ihrer Familie auf der Insel Pellworm zu übernehmen – und die Insel liegt heute bereits unter dem Meeresspiegel: „Man kann die Deiche nicht unendlich hoch bauen. Das funktioniert einfach nicht.“ Die Zukunft der Insel und natürlich auch ihre eigene sei bedroht vom steigenden Meeresspiegel. Insofern ist es also auch fraglich, ob man z.B. mit dem bis 2038 geplanten Kohle-Ausstieg  bis zu diesem Zeitpunkt einfach „so weitermachen“ kann…

Das Gespräch mit Sophie Backsen war für das „Sarstedter Kleeblatt“ ein Anlass, auch die Parteien und Gruppierungen, die dem neuen Stadtrat mit zwei oder mehr Personen angehören, um ein Statement zu bitten. Diese Reportage kann man in der neuen Print – Ausgabe des „Kleeblattes“ am 27. Oktober lesen.

Jürgen Matz