Junge Ideen wirbeln Kommunalpolitik auf

Zeigten sich begeistert und inspiriert: Vertretende der Kommunalpolitik standen den Jugendlichen während des Planspiels beratend zur Seite – und waren am Ende selber diejenigen, die die eine oder andere Anregung für sich mitgenommen haben. (Foto: Justina Philipp)

Die Jugend heutzutage… ist aufgeklärt, rücksichtsvoll und politisch voll dabei. Das bewiesen am 23. Februar Schülerinnen und Schüler des 10. Jahrgangs am Gymnasium Sarstedt in einer fiktiven, aber nicht weniger ernstzunehmenden Ratssitzung. Im Rahmen des preisgekrönten Planspiels „Pimp Your Town!“, welches den Jugendlichen die Funktionsweise und die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Kommunalpolitik aufzeigen sollte, hatten sie sich zuvor an zwei Tagen mit der Unterstützung hiesiger Kommunalpolitiker:innen eingehend auf die Sitzung vorbereitet. Fraktionen wurden gegründet (die heimatverbundenen Namen: 157, SarKom und Sarstedts Rücken), Ausschüsse gebildet, sowie Ideen gesammelt und diskutiert, während eine eigene Pressegruppe das ganze Prozedere medial festhielt. Anschließend sollte über ganze 16 der ursprünglich 35 verfassten Anträge auf der fiktiven Ratssitzung abgestimmt werden. Ein besonderer Motivationsfaktor dabei: Das Versprechen des echten Stadtrats, alle stattgegebenen Anträge mit in die nächste Stadtratssitzung zu nehmen und über eine tatsächliche Umsetzung abzustimmen.

Doch kann etwas Produktives dabei rauskommen, wenn man jungen Menschen – wenn auch nur „zum Spaß“ – in Sachen Politik freie Hand lässt? Durchaus, so das begeisterte Fazit von Grünen-Ratsfrau Gabriele Ruddigkeit, die das Projekt gemeinsam mit Karl-Heinz Forster und Harry Heimann (beide SPD) beratend mit begleitete. Das Bild der ewig am Handy „daddelnden“, gleichgültigen Jugendlichen habe sich eindeutig nicht bestätigt. Ganz im Gegenteil: Diszipliniert und interessiert, so habe sie die Schülerinnen und Schüler während der zwei Tage erlebt.

Wie auf einer echten Ratssitzung wurde auch hier per Handzeichen (der besseren Übersicht wegen mit Namensschild) abgestimmt. So einig wie hier waren sich die Jugendlichen keineswegs immer. (Foto: Justina Philipp)

Ein Blick auf die Tagesordnung gibt ihr Recht. Die ausgewählten Themen waren überraschend breit gefächert, der Fokus lag dabei nicht nur auf den eigenen Interessen der Jugendlichen, auch das Wohl der Gesamtbevölkerung Sarstedts wie auch diverser, oft wenig beachteter Minderheiten wurden im Blick behalten. So ging es immer wieder um Themengebiete des Umweltschutzes, der Unterstützung von Migrant:innen und Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen, sowie neuer kultureller Möglichkeiten in der Stadt. Ausgerechnet die zwei Anträge, denen die Jugendlichen keine ausreichende Zustimmung gegeben haben, betrafen ihre eigene Altersgruppe: Eine Lernecke in der Stadtbücherei sowie eine Jugenddisco in der Voss-Straße überzeugten bei näherem Hinsehen dann doch nicht und wurden entsprechend zurückgewiesen. Doch auch bei anderen Themen wurde kontrovers und durchaus emotional diskutiert. Die Idee eines Tierheims in Sarstedt zur Entlastung der überfüllten Tierheime umliegender Städte traf einen Nerv. Der starke Wille zu helfen bei gleichzeitiger Einsicht, dass sowohl finanzielle Mittel als auch medizinische Versorgungsmöglichkeiten knapp sind, ließ wie bei keinem anderen Thema die Gefühle hochkochen. Das Endergebnis: Eine, wenn auch nur knappe, Mehrheit dafür – Antrag stattgegeben. Dass die Jugendlichen selbst bei solch emotionalen Themen nicht den Blick für das große Ganze verloren, überraschte selbst Schulleiterin Christine Klein. Sie lobte die reflektierte Art und Weise, mit der die Schülerinnen und Schüler sich jedem Antrag annahmen. Auch die Kommunikation war, ob innerhalb der Partei oder fraktionsübergreifend, durchweg diszipliniert und zumeist konstruktiv. „Das habe ich im richtigen Rat auch schon anders erlebt“, gestand Sven Tomis, der als Stadtratsvorsitzender auch diese fiktive Ratssitzung leiten durfte. Bürgermeisterin Heike Brennecke zeigte sich ebenfalls begeistert von der „großen Disziplin und Ernsthaftigkeit“, mit der die Jugendlichen bereits in den beiden Vortagen zu Werke gingen. Sie hätten damit bewiesen, dass man durchaus innerhalb kürzester Zeit viele spannende Ideen zusammenbekommen könne. „Wir sollten uns das in den Ratsgremien zum Beispiel nehmen“, sinnierte Brennecke. Bei der Bandbreite und dem Zeitgeist vieler Themen habe sie sich fragen müssen, warum sie und ihre Kolleg:innen nicht selber drauf gekommen seien, und stellte die rhetorische Frage in den Raum: „Sind wir so blind geworden?“

Obwohl mit Ausnahme zweier Anträge allen anderen (teils mit deutlicher, teils mit knapper Mehrheit) zugestimmt wurde, gingen die Meinungen zum Teil stark auseinander: Wie in der „echten Politik“ stießen auch hier immer wieder idealistische Vorstellungen und die Möglichkeit der finanziellen und anderweitigen Umsetzbarkeit aufeinander. (Foto: Justina Philipp)

An der Sinnhaftigkeit der Veranstaltung zweifelte denn scheinbar auch niemand. Stadtjugendpflegerin Jessica Schablow, die mit ihrem Kollegen Sebastian „Igel“ Ranft bereits während der Vorbereitung zur Ratssitzung „Mäuschen spielen“ durfte, ist seit jeher von dem politischen Interesse der jungen Generation überzeugt. „Die Jugend bekommt hier eine Stimme“, freute sich Schablow. Und auch die Jugendlichen selber zogen ein positives Fazit. Schülerin Janah etwa freute sich über die Freiheit und Eigenständigkeit, die den Zehntklässler:innen in dem Projekt zugetraut wurde, und ihre Freundin Cora, die als Mitglied des Jugendparlaments Hildesheim als eine der wenigen über politische Vorerfahrungen verfügte, fühlte sich seitens der Sarstedter Kommunalpoltiker:innen ernst genommen.

Die weiteren, von den Jugendlichen stattgegebenen Anträge im Überblick: Die Gründung eines Jugendparlaments für Stadt und Ortsteile, kostenlose Menstruationsprodukte an Schultoiletten, barrierefreie Bahnsteige, kostenlose Deutschkurse für Migrant:innen in unterschiedlichen Sprachen, Ausbau bzw. Ausbesserung von Fahrradwegen vor allem im Bereich der Voss-Straße, kostenlose Busfahrkarten auch ab Klassenstufe 10, eine naturnahe „schöne Wiese“ als Ort der Entspannung, größeres Angebot an E-Rollern und anderen Mobilitätsmöglichkeiten, eine Jugendnetzkarte für den Landkreis Hildesheim und die Region Hannover, Wasserspender in öffentlichen Bereichen, ein überdachtes Sportareal, bessere Abfallentsorgungsmöglichkeiten sowie spezielle Kulturtage zur Sichtbarmachung der kulturellen Diversität innerhalb der Stadt. Die Zukunft dieser jungen Ideen liegt nun vorerst in den Händen des Stadtrats. Doch auch unabhängig davon animierte Ratsvorsitzender Sven Tomis die Jugendlichen zum Weitermachen: „Bleibt am Ball, gestaltet mit!“ /jph