Erzieherinnen machen mobil – Neues Kita Gesetz stößt auf Ablehnung

Ganze 28 Jahre lang sind in Niedersachsen Krippen- und Kindergartenkinder nach unveränderten Vorgaben in Kindertagesstätten betreut worden. Das aktuell geltende Kindertagesstättengesetz stammt aus dem Jahr 1993.
Es wurde also Zeit, daran etwas zu ändern, schließlich haben sich in den letzten knapp drei Jahrzehnten auch die Lebensumstände von Kindern und ihren Familien geändert. Sie leben öfters mit alleinerziehenden Elternteilen oder beide Eltern sind berufstätig.

„Kinder sind heute nicht mehr vier Stunden von 8 bis 12 Uhr in der Kita, sondern oft acht bis zehn Stunden“, so Ute Hanel, Leiterin der Kita Arche Noah in Heisede.
Eine Novellierung wurde also lange von allen Fachleuten, zu denen natürlich auch Eltern und Kita-Mitarbeitende gehören, gefordert. Nun ist die niedersächsische Landesregierung dem nachgekommen und hat eine Gesetzesnovelle auf den Weg gebracht. Am 17. November wurde sie veröffentlicht, Stellungnahmen dazu konnten bis zum 31. Dezember 2020 abgegeben werden. Nach dem bisherigen Zeitplan der Landesregierung und des Kultusministeriums unter SPD-Minister Grant Tonne soll die Novelle zum 1. August 2021 in Kraft treten.

Rückschritt statt Fortschritt

Doch der Entwurf enttäuscht. Quer durch die Bank und in ganz Niedersachsen regt sich Protest, sei es von der Landesarbeitsgemeinschaft Elterninitiativen Nds./Bremen, der Konföderation evangelischer Kirchen, dem Katholischen Büro, der LAG der Freien Wohlfahrtspflege, Verdi oder dem Bündnis für Kinder u. Familien in Niedersachsen. Denn die notwendigen Verbesserungen und Anpassungen an aktuelle pädagogische Erkenntnisse fehlen. So wurde noch Anfang 2020 versprochen, eine dritte Fachkraft pro Kitagruppe einzuführen. Dies steht nun nicht mehr in der Form im neuen Gesetz. D.h. der Personalschlüssel „Fachkraft pro Kind“ wird nicht verbessert. Auch eine Ausweitung der Verfügungszeiten und der Zeit für Fortbildungen fehlt, ebenso wie verbindliche Rahmenbedingungen für Fachberatungen oder die Kita als Ausbildungsort oder der Rechtsanspruch auf einen integrativen Kita-Platz. Eine qualitative Verbesserung der Arbeit in Kitas wird so nicht erreicht. Und dies, obwohl Kinder heute oft mit weniger Kompetenzen in der Kita anfangen als früher. Stattdessen gibt es sogar einige Verschlechterungen, wie Fachleute anmerken. Der Vorwurf des Bündnisses für Kinder Nds: Die Vorgabe der Landesregierung laute „Kostenneutralität“, also keine Qualitätsverbesserungen, sondern nur Verwaltungsanpassungen.
Das hat nun zu einer besonderen Gesprächsrunde in der Mehrzweckhalle in Heisede geführt.
„Wir haben das Gefühl, dass im Schatten von Corona, wo aller Augenmerk nur auf der Pandemie liegt, hier ein billiges Modell, dass ein qualitativer Rückschritt ist, heimlich, still und leise durchgedrückt werden soll, ohne dass die Öffentlichkeit es merkt“, regt sich Regina Zimmermann, die Leiterin der Paul-Gerhardt-Kita in Sarstedt auf. „Wenn das so durchgewunken wird, dann bleibt das wieder 30 Jahre so, das kann nicht sein!“

Heftige Kritik

Deshalb haben sich die Sarstedter Leitungen der evangelischen Kitas in Trägerschaft des Kirchenkreises Hildesheim-Sarstedt, der seine Mitarbeitenden bei dem Thema „auf dem Laufenden“ gehalten hat, zusammengetan und den SPD-Landtagsabgeordneten Markus Brinkmann nach Heisede zum Gespräch eingeladen. Im Kirchenkreis sind 22 Kitas mit insgesamt 70 Gruppen und über 1200 Kindern in evangelischer Trägerschaft.

Mit dabei außer Ute Hanel und Regina Zimmermann noch die Kita-Leiterinnen Heike Hoseas (Kita Kunterbunt Barnten), Nicole Schneider (St. Paulus Sarstedt), Marion Wegener (St. Nicolai Sarstedt), Ramona Linke (Kita Hildesheim Nordstadt Käthes Nest), Jessica Kopanski (St. Johannes Groß Escherde) und Gitta Weinhold (St. Peter und Paul Kita Rössing). Online zugeschaltet war Christof Gebhardt, der Vorsitzende des Kita-Stadtelternrats.
Ute Hanel, die das Gespräch moderierte, startete mit einem Vergleich: „Den Golf gibt es auch seit 30 Jahren. Aber wenn man da mal schaut, was sich da alles verändert hat… und was nun im neuen KitaGesetz steht…“

Ich habe mal gelernt, ich bin familienbegleitend. Nicht Familie ersetzend.“   Heike Hoseas – Leiterin der Kita Kunderbunt in Barnten

Marion Wegener wirft ein Schlaglicht auf die schwierige Situation heute, „mit Kindern, die doppelt so lange bleiben, aber in der gleichen Gruppengröße und mit der gleichen Anzahl ErzieherInnen. Die Lebensbedingungen der Kinder haben sich verändert, die Kitas aber nicht. Kinder kommen zu uns, die mit ihren Eltern zu Hause nicht mehr kochen, essen, spazieren gehen, denen sollen wir beibringen, Schnürsenkel zu binden.“ „Und Vierjährige, die noch gewickelt werden müssen. Und das bei zwei Erzieherinnen in einer Gruppe mit 25 Kindern. Wenn dann noch Kinder einen 1:1-Betreuung brauchen, weil sie mit der großen Gruppe überfordert sind, dann ist das nicht zu leisten! Ich habe mal gelernt, ich bin familienbegleitend. Nicht Familie ersetzend“, fügt Heike Hoseas an. Wegener, leicht überspitzt: „Wir sollen jetzt nicht mehr mit Eltern zusammenarbeiten, sondern für die Eltern.“ Auch stehe im Gesetzesentwurf jetzt als Aufgabe „nur noch fördern, nicht mehr bilden“, das sei ein Rückschritt. Und Regina Zimmermann ergänzt: „Man weiß, dass durch die großen Gruppen die Kinder nicht da abgeholt werden, wo sie stehen. Wir haben inzwischen einen ganz anderen Bildungsauftrag als früher.“

Wir haben inzwischen einen ganz anderen Bildungsauftrag als früher.“ Regina Zimmermann – Leiterin der Paul-Gerhardt-Kita

Nicole Schneider verwies als Beispiel auf die Sprachförderung, die seit einigen Jahren in den Kitas und nicht mehr in den Grundschulen angesiedelt sei. „Das ist ja pädagogisch auch sinnvoll, aber es bindet Zeit.“ Genauso übrigens, wie die ausgeweiteten Dokumentationspflichten und die Notwendigkeit zu ausführlichen Elterngesprächen. Und nach Corona würden Kinder, so Zimmermann, die die soziale Interaktion in der Gruppe ganz verlernt hätten, „noch viel mehr Zuwendung und Betreuung brauchen als jetzt schon.“ Es sei, betont Gitta Weinholt, eine echte dritte Fachkraft notwendig. Doch die Kita-Gesetz-Novelle sieht nur noch eine dritte Person, die auch ungelernt sein kann, vor. „Qualität geht anders. Ich möchte doch auch, dass mein Auto von einem Mechaniker repariert wird und nicht von einem Maler oder Koch.“

Markus Brinkmann versuchte im Gespräch, ein wenig Druck aus dem Thema zu nehmen und den Vorwurf, man versuche, das Gesetz an den Betroffen vorbei umzusetzen, zu entkräften.

Zumindest in einem Punkt konnte er für ein leises Aufatmen in der Runde sorgen: „Wir sind nicht am Ende, sondern am Anfang des Beratungsprozesses.“
Das Gesetz sei momentan nur ein Entwurf. Bisher habe sich das Parlament noch gar nicht damit befasst. Es sei üblich, dass sich in so einem Fall erst die Ausschüsse mit dem Thema befassten. „In diesem Fall also der Kultusausschuss und der Ausschuss für Finanzen. Das ist der normale Anfang einer parlamentarischen Beratung.“ Alle Ausschusssitzungen sind öffentlich und für jeden zugänglich. Die Termine finden sich auf den entsprechenden Internetseiten der Ausschüsse des Landtags.

Brinkmann, der selbst im Ausschuss für Haushalt und Finanzen sitzt, erläuterte kurz den Entstehungsprozess von Gesetzen, wobei Veränderungen während des Prozesses gang und gäbe wären.

„Lieber was Vernünftiges machen.“ – Markus Brinkmann, SPD-Landtagsabgeordneter

Am 9. März, so die momentane Zeitplanung, werde es eine erste öffentliche Beratung im Kultusausschuss geben. Am 10. März habe die SPD-Fraktion eine eigene, fraktionsinterne Anhörung zum Thema, die alle Interessenvertreter einbinden wolle. Brinkmann: „Da kann dann jeder seine Stellungnahme abgeben zu Änderungswünschen oder Ergänzungen.“
Wenn alles gut läuft, dann werden auch ein paar Leiterinnen evangelischer Kitas aus Sarstedt und Umgebung dabei sein.
Und noch etwas entspannte die Atmosphäre in der Mehrzweckhalle in Heisede: Marion Wegener verwies auf die knappe Zeitplanung bis zum 1. August. Dazu Markus Brinkmann: „Angesichts der Komplexität des Sachverhalts würde ich persönlich nicht darauf wetten, dass die Novelle zum 1.8. in Kraft tritt.“ Er könne nicht erkennen, warum man so ein Thema mit Hochdruck „wie das Corona-Nothilfe-Programm mit Tempo durchpeitschen“ müsse. „Lieber was Vernünftiges machen.“

„Es geht uns nicht um Konfrontation, wir wollen Öffentlichkeit schaffen.“ -Gitta Weinhold – St. Peter und Paul Kita Rössing

Das ist der Punkt, dem die Erzieherinnen uneingeschränkt zustimmen können. Ihnen gehe es, so Gitta Weinhold nicht um Konfrontation. „Wir wollen Öffentlichkeit schaffen.“
Heike Hoseas: „Wir wollen für die Kinder viel rausholen, damit es ihnen gut geht.“

Eine Reihe kritischer Stellungnahmen von fachkundiger Seite sind auch zu finden unter https://www.nifbe.de/infoservice/aktuelles/1823-in-der-diskussion-das-neue-kitag
Das Bündnis für Familien lädt ein, die Diskussionen zu verfolgen bei Facebook https://www.facebook.com/B%C3%BCndnis-f%C3%BCr-Kinder-und-Familien-in-Niedersachsen-eV-373251359379683/, oder Twitter https://twitter.com/undfamiliennds

Bericht: Christina Steffani-Böringer